Die "Alte Schule" in Reichshof-Hespert
Das Haus, das heute das KUNST KABINETT HESPERT beherbergt, war bis Ende der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts eine Grundschule. Danach wurde es vorübergehend als Wohnhaus und Atelier genutzt, bis schließlich 1991 das KUNST KABINETT HESPERT dort entstand. Seit dem wird das Gebäude als kommunale Galerie der Gemeinde Reichshof genutzt, in dessen Eigentum es sich auch befindet.


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- Eine Ansicht aus dem 19. Jahrhundert

Am 5. Juni 1984 wurde das Gebäude in die Denkmalliste der Gemeinde Reichshof eingetragen. Der Baukörper selbst wurde um 1850 errichtet. Er steht auf einem Bruchsteinsockel, ist verschiefert, zweigeschossig und vollunterkellert. Das Dachgeschoss ist teilausgebaut.

Der für die damalige Zeit sehr aufwändige Schulneubau in Hespert unterstreicht die Bedeutung, die der Ort als Schulbezirk seinerzeit für das Schulwesen in der Region gehabt hat. Oswald Gerhard nimmt an, dass das Schulwesen in Hespert in der Mitte des 18. Jahrhunderts als Privatunternehmen von den Einwohnern gegründet wurde. 1784 wird eine Hesperter Schule erstmalig in den Eckenhagener Kirchenbüchern urkundlich erwähnt.

Bis 1825 wurde in den Wohnungen der Lehrer unterrichtet, dann wurde in Hespert erstmalig ein separater Anbau an das Wohnhaus des Lehrers Philipp Knab errichtet. In dieser Zeit wurde auch – wohl wegen steigender Schülerzahlen – ein zweiter Lehrer eingestellt, Christoph Friederici.

In der stark landwirtschaftlich geprägten Region musste sich Unterricht an die Erfordernisse der Erntezeiten anpassen. Jede helfende Hand, auch die der Kinder, wurde auf dem Feld und auf dem Hof gebraucht. Gelang die Ernte nicht, verdorben die eingemachten Lebensmittel, war der Winter lang und hart – dann brach Hunger aus. Für die Kinder blieb häufig der Winter als die hauptsächliche Unterrichtszeit übrig. Die Schulwege mussten zu Fuß zurückgelegt werden.

Zum Schulbezirk Hespert gehörten damals die Ortschaften Tillkausen, Windfus, Buchen, Hasbach, Dreschhausen, Lüsberg, Hamig, Langenseifen, Heidberg, Euel, Neumühle, Hahnenseifen, Wiehl, Komp, Hahn, Singelbert, Hassel und Nebelseifen – dementsprechend lang waren die Schulwege.

In den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurden 162(!) Kinder in der Hesperter Schule unterrichtet. Damit waren die Kapazitätsgrenzen überschritten, und in Hahn wurde eine eigene Schule mit 51 Kindern errichtet. Es nützte bloß nicht viel, denn im Zuge der Industrialisierung, der verbesserten Hygiene und Versorgung explodierte die Bevölkerungszahl förmlich – wie überall im Deutschen Reich. Die Schülerzahl erreichte nach wenigen Jahren wieder 150. Die Schüler aus Tillkausen und Windfus schickt man fortan nach Eckenhagen, die von Langenseifen nach Hahnenseifen. Jetzt gab es in Hespert nur noch 110 Schülerinnen und Schüler, durch weitere Schulgründungen in der Umgebung sank die Zahl 1883 auf nur noch 60. Jetzt waren andere Schulen überlastet, und man schickte die Kinder wieder nach Hespert. 1891 gab es dann wieder 88 Schülerinnen und Schüler.

1917 opferten die Hesperter ihre Glocke, die seit 1861 im kleinen Glockenturm des Schulgebäudes ihren Dienst tat, für die Schlachtfelder des 1. Weltkrieges. Sie wurde 1930 ersetzt. Lange Jahre gab es in Hespert kein tägliches Glockengeläut (bis 2001 wurde nur bei Todesfällen, an Weihnachten und Silvester "per Hand" geläutet), doch seit 2002 ist die Glocke modernisiert und erklingt nun regelmäßig jede Stunde zwischen 8 und 20 Uhr.


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- Die alte Glocke

Legendärer Lehrer an der Schule in Hespert war Wilhelm Schöler, der 1924 nach 42 Jahren dort in den Ruhestand verabschiedet wurde. Die Schülerzahl in Hespert bewegte sich damals um 30 Kinder. Sein Nachfolger war sein Schwiegersohn Wilhelm Pühler, dessen Sohn Karlheinz Pühler wiederum am 1. November 1951 seinen Dienst in Hespert antrat. Dort war er Rektor bis zur Aufgabe der Volksschule im Jahre 1969. Die Lehrtätigkeit in Hespert war sozusagen ein Mehrgenerationenprojekt.

In den letzten Jahren wurde der Unterricht in dem neuem Gebäude direkt gegenüber erteilt. Kurz nach der Einschulung im Jahr 1969 mussten die Kinder fortan in Eckenhagen zur Schule gehen. Das Gebäude wurde aber noch einige Jahre sporadisch von der Eckenhagener Schule mit genutzt, zum Beispiel für Kochunterricht. Von 19XX bis 2012 nutzte die Freimauerloge "Zur Oberbergischen Treue" (www.freimaurer-gummersbach.de) das Gebäude für ihre Zwecke. Dann wurde es von ihnen in private Hände verkauft.

Mit den Bildungsreformen der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts hörte die Schule als Institution in Hespert auf zu existieren. Damit ging eine über 200-jährige Schulgeschichte dort zu Ende.

Wirklich zu Ende? Wer weiß, wohin die Entwicklung geht. Die demographische und die technische Entwicklung werden vielleicht eines Tages zu ganz anderen Schulformen führen. Aber das ist natürlich Spekulation.

Was bleibt, ist die lebendige Erinnerung an die alte Volksschule in Hespert. Viele Hesperter sind dort noch zur Schule gegangen, haben gute und natürlich auch schlechte Erfahrungen darin gemacht. "Gepaukt" wird in Schulen heute noch, wenn auch in anderer Form; Schläge und andere drakonische Maßnahmen sind Vergangenheit, und das sollen sie auch bleiben.

Die alte Schule wird von der Gemeinde Reichshof, engagierten Dorfbewohnern und dem Förderverein KUNST KABINETT HESPERT e. V. gut in Schuss gehalten. Und - das ist das Schönste - sie ist ein öffentlicher und somit zugänglicher Ort geblieben. Das KUNST KABINETT HESPERT hat mit seiner Galerie- und Kulturtätigkeit dazu beigetragen, dass Hespert über die Region hinaus bekannt wurde und in regionalen und internationalen Kunstkreisen sehr geschätzt wird.

Wolfgang Abegg, Franz Bodo und Julia Gerono

Alle Angaben wurden aus unten stehenden Quellen entnommen; ergänzt durch Informationen von Markus und Christa Hippel. Eigene Recherchen, beispielsweise in Kirchenbüchern, wurden nicht angestellt.

Quellen:
Oswald Gerhard: Eckenhagen und Denklingen im Wandel der Zeiten", 1953
Klaus Pampus/Siegfried Hillenbach: "Glocken und Geläute im Oberbergischen", 2003
Schöler, Hanster, Woelke: "Die Dörfer im Kirchspiel Eckenhagen", 1978

Die Fotos wurden freundlicherweise von der Familie Pühler, Hespert, zur Verfügung gestellt.


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- Verabschiedung von Wilhelm Schöler


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- Wilhelm Pühler mit Familie


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- Die neue Glocke


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- Festliche Einweihung der neuen Glocke


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- Schüler der alten Schule im Jahre 1952 mit Karlheinz Pühler


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- Schüler der alten Schule im Jahre 1952 mit Karlheinz Pühler